SIE SIEHT GUT AUS UND SCHÖNHEIT WIRD BEZAHLT
Bezahlt wird der Moment. Die Magie besonderer Escorts verzaubert jedoch für immer. So sucht das bittersüße Sehnen die bleibende Präsenz von Schönheit.
Ästhetik, Attraktives, Eleganz, Luxus, Erfolg! Diesen Komplex besingt Kraftwerk als deutscher Mythos elektronischer Musik in seinem zeitlosen „Das Modell“ (Die Mensch-Maschine, 1978): herrlich naiver Text von Emil Schult, mit trockener Spröde, monoton von Bandgründer Ralf Hütter zu Gehör gebracht. Dazu dual leuchten überdrehte „Girls on Film“ (1981) von Duran Duran oder deren mysteriöse Schöne („Rio“ 1982).
Mann oder Frau will mehr als nur ein Ebenbild oder nur ein Ding: eine Mensch-Maschine als „Freund“ für alles, jetzt, immer. Auch „Are ‚Friends‘ Electric“ (1979) von Gary Numan oder „Strict Machine“ (2003) von Goldfrapp verbindet Taktiles und Technologie.
Allen gemein und allgemein: Ewig lockt das Ideal!
DAS MODELL
Tangerine Dream, Rammstein und Die Toten Hosen oder gar Heino covern Kraftwerks unterkühlten Hit für den Dancefloor. Elektronischer Pop aus Düsseldorf klingt halt so lässig wie jene kleine Metropole am Rhein. Die Modestadt lädt zu Luxus und Escorts, die in Schults Worten schwingen: „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus, ich nähm‘ sie heut‘ gerne mit zu mir nach Haus, sie wirkt so kühl, an sie kommt niemand ran.“ Dies bleibt berührend basal, banal, offen.
Nüchtern klingt auch die natürliche Konsequenz günstiger Gene: „Schönheit wird bezahlt.“ Ganz einfach! Das vernetzte Je-ne-sais-quoi aus Distanz und Nähe, „boy meets girl“ und Schmelz der Jugend samt Untugend verdichtet sich im Kraftfeld weniger Worte.
Kraftwerk: Komplexes kondensiert zum Kern. Kopf und Körper? Deren Koitus geschieht in tanzbaren Konzeptsongs wie „Das Model“. So klingt „Electronic Body Music“ (Hütter, 19.6.78, Interview, Radiosender WKSU). Diese synthetischen Klänge entstehen in den Kling-Klang-Studios der Gruppe. Dort rockt der robotische Kunstkörper, im Realen locken Model oder Edel-Escort mit Körperkunst.
MASCHINELLER MINIMALISMUS
Weniger bleibt mehr. Diese Einsicht greift als Prinzip der Ton- oder Musikkunst von Hütter und Schneider. Ihre simple Sprache aus elektronischen Klängen versteht jeder sofort. In ihr spricht Kraftwerk zur Welt seit 1970. Die lange Historie dieser prägenden Band zeigte sich zuletzt im April 2020: Mitgründer Florian Schneider-Esleben starb.
„Pop“ mag dem Ersthörer zu Perlen wie „Neonlicht“ (1978) oder „Radioaktivität“ (1975) nicht in den Sinn kommen. Tatsächlich aber nennen viele Schöpfer populärer Musik die Kling Klang Produkte als Inspiration. Im Interview oder musikalischen Zitat verweisen David Bowie, Mitglieder von Depeche Mode, OMD und New Order sowie zahlreiche andere Künstler auf die rheinischen Elektrobarden. Einigen wir uns vielleicht auf „Kunstpop“ als Symbol: „Boing“ „Bumm“ „Tschak“ (Kraftwerk, „Musique Non-Stop“ 1986).
Die Kunst der jeweiligen Formation der Band lag und liegt in ihrem Reduzieren auf Essenz. Die abstrakte Musik im Wesen von Kraftwerk schließt allgemeinen Klang ein. So zerbricht Glas klar wie Kristall, wenn Schaufensterpuppen ihrem Showroom entkommen (2’10“ in „Schaufensterpuppen“, Trans Europa Express, 1977), Bremsen quietschen Schmerz beim einlaufenden TEE (Ende von „Abzug“, 1977), hörbare Strahlung ratscht nervös als nicht sichtbarer Tod (0’30“ in „Geigerzähler“, Radio-Aktivität, 1975) oder eine elektronisch modulierte Stimme knarzt allmächtig Mahnendes zum elektrischen Generator als Diener und Herrn des Menschen („Die Stimme der Energie“ 1975).
KUNST UND MUSTER
Klang und Licht berühren sich in Kraftwerks Synthesen aus Bild und Ton. Musik und Animation aus digitaler Hardware geben dem Erlebenden zahlreiche Assoziationen, ob live oder aus der Konserve. Weder menschelt die Band dabei, noch rutscht sie ab in einen Rausch aus Effekten ohne Bezug zum Homo sapiens. Eher beschreibt Kraftwerk seit jeher unsere Tierart mit technischen Audio- und Videomedien. Dazu verknüpft die Gruppe die Bedingungen menschlicher Existenz mit Phänomenen der Technologie: Natur („Expo 2000“ 1999), Energie und Information (Radio-Aktivität, 1973), Digitalisieren (Computerwelt, 1981), Cyborgs (Die Mensch-Maschine, 1978), Raumfahrt („Spacelab“ 1978), Mobilität (Trans Europa Express, 1977), Produktion („Die Roboter“ 1978), Konsum („Das Model“ 1978), Körperlichkeit („Sex Objekt“ 1986; „Tour de France“ 1983).
Herzige Klötzchengrafik der 80er und knorriger Charme des harsch modulierten „wir sind die Roboter“ befremden bewusst. Solche gewollten Artefakte kontern gelackte Perfektion der Kling Klang Produkte. In Kraftwerks Kosmos lauern stets dieses Augenzwinkern und ein „jump to the left“. Und deswegen: „Jetzt woll’n wir tanzen mekanik“ (sic!) („Die Roboter“). Wort- und Klangwitz zündet assoziative Gewitter in neuronalen Netzen der Hörer. In großen Abständen regt sich auch einmal live der verdurstende Humor Hütters. So crasht mitten im Evergreen „Autobahn“ die Konzert-Technik und der Gründer meint lakonisch: „out of petrol“ (Januar 2014, Cirkus, Stockholm).
Die originalen Texte von Hütter und Schneider bleiben nüchtern und beschreibend. Erst später gab es rares Werten als Imperativ, etwa per Einfügen von „stop radioactivity“ in einen alten Liedtext. Jenes Beharren auf Abstraktem als Freiheit des Interpretierens verbindet Kraftwerks Wirken mit Kunst. So gab die Band auch ein Konzert zur Eröffnung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (Karlsruhe). Ton, Wort und Bild aus den Angeboten der Gruppe verschmelzen in unseren Köpfen zu Objekten mit vielen Dimensionen. Umgekehrt schimmert in jedem Hirn etwas Absolutes, das sich in diesem oder jenem Kompilat aus Kling-Klang erkennen kann.
Die Macher bleiben hinter ihrer Kunst, denn sie integrieren sich in die Mensch-Maschine namens Kraftwerk. Langjährige Mitglieder, etwa Wolfgang Flür und Karl Bartos, werden als austauschbar verstanden. Dies gilt abstrakt auch für Hütter und Schneider als Gründer der Band. So stehen bisweilen für sie und andere der Gruppe deren Roboter-alter-egos auf einer Bühne. Als Kunstprodukt unter totaler Kontrolle, vermittelt Kraftwerk die Realität von Technologie als Gefühl. Dabei bedient die Band unverschämt Klischees wie „made in Germany“ oder „over-engineering“. So what.
Letztlich spricht Kraftwerk eine Kunstsprache aus Wort, Musik und Bild. So vermittelt Hütter als ehemaliger Student der Architektur nicht verbal Ausdrückbares. 1968 gründet er dazu gemeinsam mit Florian Schneider-Esleben, Musiker und Sohn eines Architekten, „Organisation“. Diese Formation wird dann mit Entstehen von Kling-Klang zu Kraftwerk. Statische Strukturen entstehen aus Dynamik im Kopf. Als Metapher dazu mag Goethes Sicht stehen, Architektur sei starre Musik. Jenes nicht Aussprechbare und Individuelle fließt aus Kraftwerks Komponieren.
Diese hohe Faszination und Inspiration hallt wider in zahlreichen Bekenntnissen internationaler Musikkünstler, etwa zum Abschied von Florian Schneider. So äußern sich auch Jean-Michel Jarre, Nick Rhodes (Duran Duran), Peter Hook (Joy Division), Gary Numan, Midge Ure (Ultravox) und Giorgio Moroder teils sehr persönlich. Vielleicht trifft Numan es besonders gut: „This is what true innovation sounds like.“ Innovation braucht Inspiration. Deswegen gilt: „Es wird immer weitergeh’n: Musik als Träger von Ideen.“ (Kraftwerk, „Techno Pop“ 1986)
Jenseits der Technologie bleibt Cyborganisches: eine Nacht zum Tanzen mit Electronic Body Music, Models, Luxus und Escorts. „Ich nähm‘ sie heut‘ gerne mit zu mir nach Haus.“ Das geht vielleicht. Ob berührbar oder nie: „Sie sieht gut aus“. Im Kopf für immer.