Wenn eine Modedesignerin, wie Jil Sander sagt: „Ich verdanke den Künstlern die Erkenntnis, dass eine große Kraft in der Reduktion stecken kann. Und sie haben mich darin bestätigt, dass Qualität unmittelbar spürbar ist“, dann ist eine Museumsausstellung schon fast unausweichlich. Und so sei es: Ab dem 3. November zeigt das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst in einer umfangreichen Solo-Ausstellung das Mode- und Produktdesign von Jil Sander, die eigentlich Heidemarie Jiline Sander heißt und am 27. November 1943 in Wesselburen, Dithmarschen geboren wurde.
Sander sammelte schon früh Kunst und investierte ihr erstes Geld in Arbeiten von Robert Ryman oder Cy Twombly. Zu Kollektionen angeregt, haben sie auch serielle Arbeiten von Pop-Künstler Andy Warhol oder die Schlitzbilder des Italieners Lucio Fontana. Jil Sander wuchs in Hamburg auf. Nach einem Textilingenieur-Studium an der Staatlichen Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld ging sie als Austauschstudentin nach Los Angeles. Nach zwei Jahren kehrte sie nach Hamburg zurück, um dort als Moderedakteurin für verschiedene Frauenzeitschriften zu arbeiten.
Als 24-Jährige, im Jahr 1967 eröffnete sie im Hamburger Stadtteil Pöseldorf unter dem Namen Jil Sander eine Modeboutique, gründete 1968 die Jil Sander GmbH und verkaufte ab 1974 neben Mode anderer Designer auch ihre eigenen Kollektionen. Das allerdings kam bei einer Präsentation in Paris 1975 gar nicht gut an: Sanders puristische Stücke wurden in der lauten, opulenten und farbenfrohen Zeit schlicht nicht verstanden. Erst ab Anfang der achtziger Jahre, fand die Kollektion von Jil Sander internationalen Zuspruch, besonders bei erfolgreichen Geschäftsfrauen, die den Zwiebel-Look aus hochwertigen und leicht kombinierbaren Einzelteilen schätzten. Sander firmierte zu dieser Zeit zur „Queen of less“, so ihr Spitzname.
„Jil Sander is hot, Armani not.“
Zu jeder luxuriösen Modemarke gehören freilich auch Kosmetikprodukte, weshalb Sander 1978 ihre Produktpalette erweiterte und mit dem Kosmetikhersteller Lancaster kooperierte. Die lukrative Parfüm-Lizenz half ihr auch über die schweren Anfangsjahre ihrer Modemarke hinweg. Sie alle kennen die ikonische Werbung mit Sanders Konterfei für die Duft- und Pflegeserie Jil Sander Woman Pure. 1989 folgte der Börsengang, sie führte das Modeunternehmen als eines der ersten an die Frankfurter Börse, was die Marke Jil Sander zu einer der erfolgreichsten Marken der neunziger Jahre machte. Der Verkauf ihres Unternehmens an die Prada-Gruppe im Jahr 1999 sorgte für Gesprächsstoff im Mode-Business, denn Prada kaufte 75 Prozent der Stammaktien und 15 Prozent der Vorzugsaktien der Jil Sander AG für geschätzte 275 Millionen DM. Im April des Folgejahres verließ die Namensgeberin und Gründerin ihr Unternehmen.
Nach einer kurzen Rückkehr als Chef-Designerin im Jahr 2003 gab sie ihren Posten Ende 2004 erneut auf. Der belgische Modedesigner Raf Simons gilt als ihr bekanntester Nachfolger. 2009 ging Sander nach fünfjähriger Abstinenz aus der Modewelt als Kreativdirektorin zur japanischen Modekette UNIQLO und entwickelte die Designlinie +J. Ende 2011 verließ sie das Unternehmen. Am 28. Februar 2012 wurde sie erneut Kreativdirektorin ihres ehemaligen Labels, das mittlerweile einem japanischen Konzern gehörte, nachdem Prada es 2006 verkauft hatte. Im Oktober kehrte sie dem Unternehmen erneut den Rücken. Heute ist Rodolfo Paglialunga der Chefdesigner des Labels und Sander bereitet seid 2016 ihre weltweit erste Museumsausstellung vor.
Anfang der neunziger Jahre wurde die Mode androgyner sowie dezenter und Jil Sanders Stunde hatte geschlagen: Sie erlebte die Blütezeit der Marke. In den achtziger Jahren war Sander mit ihren minimalistischen Schnitten der Mode zehn Jahre voraus. „Jil Sander is hot, Armani not“ – dieser Spruch machte bald in Mailand die Runde, nachdem die Designerin elfengleiche Supermodels über den Laufsteg geschickt hatte. Die Verkaufszahlen des Unternehmens stiegen stetig; der Launch einer Männerlinie, die bald immerhin 20 Prozent zum Konzernumsatz beitrug folgte 1997.
Jil Sanders Mode verfügt über mehrere Markenzeichen und trotz des angewandten Purismus über einen hohen Wiedererkennungswert: Da wäre zunächst der stark auf die Körperproportionen zugeschnittene Hosenanzug, sowie ein schlichter Trenchcoat oder ein kamelhaarfarbener Mantel; selbstverständlich auch die simple weiße Bluse. Bei der Kleidung wird auf unnötige Details verzichtet, was das berühmte Sander Zitat: „Die reinste Form von Luxus ist Reduktion. Ein Kleidungsstück ist perfekt, wenn man nichts mehr weglassen kann“, mehr als deutlich macht.
Die Qualität der Materialien war, zumindest unter Sanders Führung, einzigartig gut und in den Tönen schwarz, grau, weiß, beige, braun und dunkelblau gehalten. Keine lauten Farben beunruhigten das Auge. Sie schaffte es, die Mode von Diors weiblicher Silhouette hin, zu funktioneller und eleganter Damenmode für Karrierefrauen zu wandeln und das Spektrum für Damenbekleidung zu erweitern. Sie selbst sieht sich in der Ästhetik der Bauhaus-Tradition verwachsen und verweist mit ihrer reduzierten Mode auf „kluge Schnitte, die der Trägerin Bewegungsraum und Dynamik geben“. Wir finden das im positiven Sinne museumsreif!